Tiere in der Mythologie und als methodisches Konzept von Klangarbeit

Es gibt Tiere, die haben eine archaische Verbindung zum Menschen, welche älter ist und tiefer geht, als die Verbindung zu unseren Haus- und Nutztieren.

Meist sind diese auch mit den verbreitetsten Phobien verbunden. Ohne wissenschaftliche Statistiken zu kennen, fallen einem in der Regel sofort Spinnen, Schlangen, krabbelnde Kleinsttiere und schleimige Kriechtiere ein. Alles Tiere, denen man keine emotionalen Verhaltensweisen nachsagt, die auf einer (zumind. hauptsächlich) vegetativen Nervenebene agieren. Unser vegetatives Nervensystem ist zuständig für Strategien, die auf Reflexen basieren. Ein reflektorisches Abstimmen und Reagieren auf Umweltreize. Auf dieser Ebene werden die lebensnotwendigen Vorgänge in unserem Körper reguliert, wie Atmung, Herzkreislaufsystem, Schwitzen, Fallen (im besten Falle noch wie bei Kleinkindern), Niesen, Husten, Räuspern, Gähnen, Greif- und Loslassreflex, die Liste ist noch lang weiterführbar.

Warum haben wir m Zusammenhang mit der vegetativenen Ebene so viele Ängste entwickelt?

Weil sich die vegetative Ebene so gut unserem Bewusstsein entzieht?

Das wollen wir hoffen, denn auf dieser Ebene stört das Bewusstsein eine gesunde und funktionale Regulation. Aber ein Ja ist wahrscheinlich, denn vielen Menschen macht Angst, was wir weder bewusst wahrnehmen noch verstehen können. Unser Bewusstsein leidet in unserer westlich geprägten Kultur unter einer aufgeblähten Überbewertung seiner Rolle und seiner Wichtigkeit. Dazu mehr im Artikel "Orpheus und die Entstehung des Bewusstseins". Ein eindrückliches Beispiel für das unpassende Eingreifen des Busstseins ist das des Fallens. Kleinkinder fallen noch so, dass sie sich möglichst wenig verletzen. Nach dem Motto, lieber ein paar Hautabschürfungen, die schnell verheilen, als einen komplizierten Handknochenbruch. Die Wahrscheinlichkeit zu solchen Brüchen steigt mit dem Alter und dem Verlust von reflektorischer Reaktion zu gunsten von "sich schützen wollen" oder "die gute Kleidung schützen wollen" oder auch "das Fallen eigentlich gar nicht zulassen wollen".

Auch das Musizieren und Singen gehört auf eine reflektorische Ebene. Ein vielzitiertes Beispiel: Macht sich ein Pianist über eine schwierige Passage im Moment des Spielens darüber Gedanken, was seine Finger da eigentlich tun, fliegt er raus, versagt die motorische Kontrolle. Das Bewusstsein ist nicht dafür ausgerichtet, komplexe Bewegungsabläufe zu koordinieren.

Weil wir einen "natürlichen" Zugang zu der vegetativen Ebene in uns verloren haben und uns dort nur noch notgedrungen selten begegnen?

Höchst wahrscheinlich ja! Wir sollten uns gestatten mehr mit dem Gefühl des Kontrollverlustes Freundschaft zu schließen, dem vielzitierten "Loslassen". Dem Bewusstsein kommt es wie ein Verlust vor, in Wirklichkeit findet nur eine Verlagerung der Kontrolle statt, hin zu den Ebenen, die dafür eigentlich auch gedacht sind, den Bereichen der motorischen Kontrolle im Stammhirn (s. Formatio reticularis). Bei der Aufgabe von (bewusster) Bewegungskontrolle passiert im Grunde das Gegenteil, eine bessere Bewegungskontrolle. Jedoch wird der Schritt dorthin wahrscheinlich um so schwerer, je mehr wir unseren eigenen Wert über die Rolle des Bewusstseins definieren. Dann wird es weniger einfach, das Bewusstsein einfach mal in seiner (zwanghaften) Tätigkeit zu entlassen.

Wie aber kommunizieren wir mit den vegetativen motorischen Nervenzentren?

Beide, Vegetativum und Bewusstsein, sprechen nicht die selbe Sprache. Mehr noch, Sprache in Form von Worten ist dem Vegetativum erst einmal wesensfremd. Bilder jedoch haben von je her eine Imaginations- und Einflusskraft auf das Vegetativum. Deshalb bedienen sich Mythen und Märchen derer gerne. Deshalb verlieren die Mythen und Märchen aber auch ihren eigentlichen Wert, versucht man sie mit dem Verstand zu verstehen. Sie verschleiern ihr Gesicht, versucht man sie realitätsnah oder analytisch zu verstehen. Wählt man Bilder, die mit einem Zustand des Vegetativum zu tun haben und lässt man das Bild auf sich wirken, ohne darüber nachzudenken, ohne das Bild zu bewerten, zu kommentieren oder sonst sprachlich oder bewusst zu initiieren, kann man erstaunt sein, was das Bild in einem bewirkt und welche Auswirkungen es auf motorische Prozesse haben kann.

Im Folgenden möchte ich exemplarisch auf die Kraft von einem Tierbild eingehen und dazu ermuntern selber ispirierend mit Bildern zu experimentieren.

Die Spinne und das Spinnennetz

Interessanter Weise ist die irrationale Angst vor Spinnen in den Regionen der Welt am größten und verbreitesten, wo kaum humanpatogene (den Menschen krank machende) Spinnen vorkommen, den westlichen Industrieländern (von Australien abgesehen). Dort wo die Spinnen auch den Menschen gefährlich werden können, werden sie aber als Nützlinge (gegen Insekten) oder als Delikatessen angesehen. Mehr noch: "In Westafrika wird die Spinne Anansi als hohe Gottheit verehrt. Anansi gilt hier als Urheber des Wissens und der Klugheit, Erfinder des Ackerbaus, Regen- und Wettergott." 1

Die hauptsächliche Sinnesverbindung der Spinne mit der Welt ist eine akkustische. Sie haben zwar keine Ohren, aber zwei Arten von Härchen, hauptsächlich an den Beinen und den zwei Kopffühlern. Die eine Art reagiert auf Schwingungen in der Luft, die andere auf Vibrationen über den festen Untergrund auf denen sie stehen oder laufen und bei Netzspinnen auch über ihr Netz. "Spinnen verwenden Vibrationen als Signale in der Partnerwahl, um zwischen Eltern und Nachwuchs zu kommunizieren, um mit Gruppenmitgliedern zu kommunizieren und in der Feindabwehr." 1 Spinnen machen sich also im wesentlichen ein Bild von der Welt über Vibrationen. Sie erkennen anhand ihrer, ob es der Wind ist, ein Blatt oder Stock oder ein Beutetier, der bzw. welches das Netz in Schwingung versetzt. Wahrscheinlich können sie sogar die Art des Beutetiers an der Art des Schwingungsmusters erkennen, die diese im Netz hinterlassen. Springspinnen erkennen anhand des Schwingungsmuster, ob es sich um eine Fliege handelt, die zu ihrer Beute gehört, oder um ein Feind, der angeflogen kommt. Dadurch, dass sie mehrere Beine haben, an die die Signale zeitversetzt ankommen, können sie ein dreidimensionales Bild der Welt erstellen und zielsicher die Distanz und Geschwindigkeit erfassen, um das vorbeifliegende Opfer erfolgreich anspringen und fressen zu können. Bei Netzspinnen ist das Netz das verlängerte Sinnesorgan der Spinne. Sie bringt durch ihre Beinbewegungen das Netz zum vibrieren und kommuniziert so über das jeweils erzeugte Schwingungsmuster mit ihren Kommunikationspartnern. Höchstwahrscheinlich läuft sie mit ihren acht Beinen in einer Art über das Netz, wie sie die Vibrationen ungehemmt aufnehmen kann, ohne sie zu dämpfen. Ihre Beine vibrieren dabei gehörig mit. Ihre Sensorik ist dabei so eingerichtet, dass sie starke (laute) Vibrationen und Erschütterungen genauso gut verarbeiten kann, wie die leichtesten, leisesten. Spinnen sind in der Natur ware Meister der Vibrationsverarbeitung.

Das Bild der Finger, die sich auf den vibrierenden Saiten des Instruments bewegen, wie laufende Spinnenbeinen auf dem Spinnennetz, kam mir beim Üben mit der Gitarre. Und immer wieder kann ich umgekehrt dieses Bild benutzen, um auf eine ganz vegetativ, reflektorische Ebene des Instrumentenspielens zu kommen. Wenn die Vibrationen der Saiten in den Fingerkuppen und weiter im ganzen Finger nicht nur spürbar sind, sondern sich in der Wahrnehmung tatsächlich in etwas lebendiges verwandeln, dann verschmelzen die Bewegungen der Finger und die Vibrationen zu einem Ganzen. Dann vereinen sich beide zu einem Wesenhaften. Saiten und Finger sind Bestandteil eines "Organs", eines "Wesens", sind Teil ein und desselben Vorgangs. Die Empfindung unterscheidet plötzlich nicht mehr zwischen passiver, toter, schwingender Saite und meinen lebenden Fingern, die tatkräftig die Saiten in Schwingung bringen. Die Finger sind in der Empfindung nicht mehr "tätig" sondern werden eher bewegt und die Saiten haben ein Eigenleben bekommen und beide befruchten sich gegenseitig. Besser noch, beide, Saiten und Finger, gehören nun weder zu mir noch zum Instrument, sondern führen ein ganz magisches "Selbst", eine lebendige eigene Wesenheit. Das sind beglückende und inspirierende Momente, in denen die Musik aus sich heraus entsteht. Die Musik selbst wird nun zu einer eigenen Wesenheit. Sie wird tatsächlich lebendig, nicht im Sinne von vital, sondern von "eigen lebend".

In diesen Momenten hat man einen recht hohen Grad an optimaler Bewegungsanpassung der Finger an die Schwingung der Saite erreicht, eine echte sensorische Rückkopplung, eine Annäherung an einen perfekten Regelkreis zwischen Motorik und den Schwingungseigenschaften des Instruments mit Hilfe der Sensorik. Diesen Prozess könnten wir niemals in dieser Feinregulation mit Hilfe des Bewusstseins erlangen. Das Bewusstsein darf dabei nicht mehr als ein absolut stiller Beobacher bleiben und muss die vegetative Ebene zum vollen Zuge kommen lassen, die eine andere und ganz eigene Wirklichkeit der Empfindung mit sich bringt. In diesem Zustand kann sich echte Kreativität entfalten, nicht als geplante, bewusst entschiedene Strategie der Musikgestaltung, sondern in einem ursprünglichen Sinne, wie "von der Muse geküsst", als "göttliche Eingebung", oder als Geschenk der Götter, wie es die Literatur beschreibt.

Dieses Bild lässt sich vielseitig erweitern. Die klebrigen Eigenschaften des Spinnennetzes z. B. helfen auch auf eine Empfindungsebene zu kommen, die weit vom Fühlen entfernt ist. Sie vermitteln eine Art Adhäsionkraft, die es erlaubt die Finger während des Spielens von der vibrierenden Saite wegzubewegen ohne den Kontakt zu ihnen zu verlieren. Es kann u. U. eine Empfindung entstehen, als würde ein magisches Luftpolster zwischen Fingerkuppe und Saite existieren, auf dem die Bewegungen der Finger abgepolstert werden und die Finger reibungslos über die Saiten gleiten lässt. Wie ein Wassertropfen auf einer heißen Herdplatte auf einem Luftpolster läuft. Oder aber die Empfindung, dass zwischen Saite und Finger Raum entsteht. Ein Raum, der sich dehnen kann/möchte und Ähnlichkeit zum Sog hat. Dieser empfundene Raum zwischen Fingerkuppe und Saite kann sich unglaublich groß, präsent und bedeutend anfühlen, als ob sich das "ganze Leben" in ihm abspielt. Er übernimmt eine entscheidende Regulation im Sinne eines Ordners in der Synergetik, der nicht nur die Finger koordiniert, sondern scheinbar auf den ganzen Körper Einfluss nimmt. In diesem Raum entsteht Kreativität, musikalischer Ausdruck und Gestaltung aus sich heraus, nicht geplant und nicht gesteuert. Das ist ein sehr magischer Moment. Eine weitere Bild- / Empfindungserweiterung: Der silbrige Netzfaden, vielleicht sogar vom Tau benetzt, korreliert mit einer silbrigen Klangempfindung, einer hellen, fadenartigen Spur im Klang, der Brillanz, die wiederrum organisierende Fähigkeiten hat und die Einzeltöne auf wunderbare Weise zu einem Ganzen verbindet (s. Die Brilanz als Voraussetzung von Selbstregulation).


Nachwort:

Wie tief Bilder in uns verankert sein können möchte ich an einem Erlebnis in meiner Ausbildung am Lichtenberger® Institut erläutern. Wir haben in unserer Gruppe alle ein anatomisches Foto von einer Muskelgruppe bekommen, die etwas mit Singvorgängen zu tun hatte, welches wir aber nie zuvor gesehen hatten. Unser Verstand konnte nicht einordnen oder vermuten, womit der abgebildete Muskelbereich auch nur annähernd zu tun haben könnte. Die Anweisung war nun, das Bild auf uns wirken zu lassen, ohne darüber nachzudenken. Um welche Muskelgruppe es sich handelte, wurde erst am Ende aufgedeckt. Das überraschende war, dass wenn das Bild eine Wirkung entfalltete (was bei den meisten der Fall war) es zielsicher mit dem abgebildeten Muskels zu tun hatte. Unser Körper erkennt sich intuitiv, als hätte er eine Landkarte von sich, die er auf dem Foto wiedererkennt. Das ist absolut erstaunlich, bedeutet es doch in der Konsequenz, dass wir längst ein Wissen über uns und unsere Funktionen haben, ohne dies wissenschaftlich dem Bewusstsein erschlossen zu haben. Wie weit dieses innere Urwissen geht, bleibt natürlich unklar. Wir sollten aber darauf vertrauen, dass wir eher (deutlich) mehr "wissen" als wir denken. Auch das leicht gefällte Urteil, dass Urvorfahren weniger über die Natur und unseren Körper wussten, scheint doch mehr dem menschlichen Egozentrismus zu entspringen. Das Bild vom finsteren Mittelalter ist wissenschaftlich schon längst widerlegt. Aber auch wenn wir wissenschaftliche Artikel darüber lesen, dass in der Steinzeit offensichtlich Operationen am Gehirn stattgefunden haben um bestimmte Krankheiten zu behandeln, werden wir daran erinnert, das man vielleicht deutlich mehr "Wissen" für möglich halten darf, ohne dazu unbedingt wissenschaftliche Erkenntnisse zu benötigen.

Orpheus und die Entstehung des Bewusstseins

Um die Rolle Orpheus besser zu verstehen, hilft es sich zu verdeutlichen was im Selbstverständnis der Menschen damals grundsätzlich anders war als heute. Hierzu liefert Julian Jaynes spannende Erkenntnisse in seiner absolut lesenswerten Abhandlung über das Bewusstsein und dessen evolutionäre Entstehung und Entwicklung, in: "Der Ursprung des Bewusstseins durch den Zusammenbruch der bikammeralen Psyche" (Hamburg, Rowohlt, 1988).

Das Bewusstsein scheint eine recht neue Erfindung der Evolution zu sein. Seine Entstehung beginnt etwa 3000 v. Chr. Vorher und in der Übergangszeit halfen die Götter bei Entscheidungen.

In der Regel haben wir eine sehr stark von der tatsächlichen Funktion und Wichtigkeit abweichende Vorstellung, was Bewusstsein ist und tut. Das beginnt schon mit der Annahme, dass unser Bewusstsein im Wachzustand koninuierlich anwesend wäre und wir ohne es ein "dumpf dahin vegetierendes, niederes Wesen" wären. Unser Bewusstsein ist nach Jaynes entstanden, um in unbekannten Situationen besser Entscheidungen finden zu können. Es ist vielleicht ursprünglich nur als "Notfallorgan" gedacht, welches bei Bedarf hinzugezogen wird.

Vor der Entstehung des Bewusstseins gab es nach Jaynes die göttlichen Erscheinungen, visuell und besonders akkustisch. Das "Halluzinationszemtrum" der rechten Gehirnhälfte stand mit dem Sprachzentrum der linken Hälfte direkt in Verbindung. Hier haben wir nach Jaynes unsere göttlichen Handlungsanweisungen bekommen, wenn wir nicht vertrauten Situationen begegneten. Die Verbindung zwischen den beiden Hemisphären war ungebremst. Giesela Rohmert und Martin Landzettel schreiben in den "Lichtenberger Dokumentationen" ("Erkenntnisse aus Theorie und Praxis der Physiologie des Singens, Sprechens und Instrumentalspiels" Band 3, 2017): "Der Wille des bikameralen (Zwei-Kammer-) Menschen zeigte sich als Stimmphänomen. Hören und Ge-horchen bedingten sich gegenseitig. Tomatis sagt: 'Das psychologische Problem, das ich am weitesten verbreitet sehe, ist , dass wir nicht nur das Phänomen des Horchens, sondern auch des Gehorchens verloren haben. In den heiligen Schriften ist das Wort, welches man am meisten liest: >Höre<.' 'Gehorchen ist perfektes Horchen' (Wilson 1988)" shalb bedeutete Horchen auch Ge-Horchen. Sich davon zu distanzieren war keine Möglichkeit (es gab noch keine bewusste Entscheidungswahl - wie frei diese Wahl inzwischen tatsächlich ist, lassen wir hier mal dahingestellt) und es bestand auch keine Notwendigkeit, denn diese Göttererscheinungen waren ja helfend und wohlgesonnen. Woher das Halluzinationszentrum jedoch seine Entscheidungskompetenz nahm, ist mir bei Jaynes nicht klar geworden.

Nun wurde evolutionär zur Entwicklung des Bewusstseins die Verbindung zwischen rechter und linker Hemisphäre im Gehirn drastisch reduziert und damit das innere Hören von Stimmen wie das innere Sehen von Menschen/Wesen in der Regel unterbunden. Die Möglichkeit ist nicht tot und das nicht nur bei Menschen mit Schizophrenie. Jedoch spielt es in unserer Kultur eigentlich keine Rolle mehr, außer in Nischen, wie z. B. der Religion.

Das Bewusstsein ist also vor allem eine Entscheidungsinstanz. Es lenkt unsere Handlungen. Handeln selbst tut es nicht. Zu was man ohne Bewusstsein in der Lage ist, würde erstaunen; es hilft sich mit dem Zustand der Somnolenz und des Schlafwandeln zu beshäftigen. Fast alle Dinge tun wir völlig unabhängig vom Bewusstsein, welches sich zugegebener Maßen jedoch gerne und kontinuierlich einmischen will.

Unser Bewusstsein ist im Wachzustand nicht kontinuierlich angeschaltet. Sehr vieles können wir sogar mit völlig fehlendem Bewusstsein tun.

Jeder Autofahrer wird auf einer vielleicht längeren, etwas langweiligeren, monotonen Autobahnfahrt vermutlich schon mal an den Punkt geraten sein, dass er sich an die letzten 20 Minuten Autofahrt nicht mehr erinnern kann, auch nicht an was er so vorbeigefahren ist, auch nicht an irgendwelche Gedanken, denen man nachgegangen ist. Jaynes sagt, dass sich das Bewusstsein öfter einfach mal ausschaltet. Häufig nur kurze Momente, manchmal, wie bei einer solchen Autobahnfahrt, auch mal länger.

Das uns das in der Regel nicht bewusst ist, ist kein Wunder. Das Bewusstsein kann sich nicht seiner eigenen Pausen bewusst sein. Wenn es sich wieder anschaltet fehlt ihm die Zeit seit dem Ausschalten und kann sich über diese auch nicht direkt bewusst werden. Dafür bräuchte es ein zweites Bewusstsein, welches sich über das erste bewusst ist. Uns fällt das in der Regel deshalb nur auf, wenn etwas offensichtlich passiert sein muss, ein Sprung in einem kontinuierlichem Handlungs- oder Ablaufsprozess wahrnehmbar wird. Und um Missverständnissen vorzubeugen, Jaynes bezieht sich damit nicht auf ein Abschweifen der Gedanken, oder eine selektive Wahrnehmung. Es wäre auch interssant zu wissen, ob das Bewusstsein heutzutage vielleicht weniger die Gelegenheit hat, einfach mal abzuschalten, als noch vor 200 Jahren.

Ein weiteres Beispiel sind Schlafwandler, die sich ohne zu stoßen durch die Wohnung bewegen können, mit denen man sich sogar unterhalten kann. Weckt man sie dann auf, wissen sie nicht, was gerade passiert ist, was Inhalt der Unterhaltung war und wie sie dort hingekommen sind. Das Bewusstsein erfährt einen Schock in seiner Vorstellung, allzeit präsent zu sein. Es weiß in der Regel ja nichts von seinen Pausen und Aussetzern. Nur der Schlaf ist uns vertraut und selbst hier hat bei so einigen Menschen das Bewusstsein Probleme loszulassen und sich dem Ungewissen hinzugeben.

Sich allem bewusst sein zu wollen ist eine Last, ein Laster und macht letztendlich unglücklich.
Seelig sind die Unwissenden.

Seelig sind die Unwissenden. An diesem Bibelzitat ist sehr viel dran und könnte allein schon ein Heilsbringer für unsere Zeit sein. Wenn man darunter versteht, dass bewusstes Wissen kaum hilft, Dinge anders oder besser zu machen. Wir stünden nicht in einer Welt mit zunehmenden, menschgemachten Naturkatastrophen, die der Anfang eines Umbruchs sind, der im Begriff ist die Lebensgrundlagen der Menschen zu zerstören, zumindest aber unsere Kulturen.
Unser bewusstes Wahrnehmen ist hochgradig selektiv, wir sehen ganz dogmatisch und biologisch gewollt die Welt erst mal so, wie wir sie am wahrscheinlichsten Erwarten. (s. Spektrum der Wisscenschaft Kompakt 41/23 "Wahrnehmung - Zusammenspiel von Sinnen und Gehirn").
Das hat biologisch Vorteile, aber auch Nachteile, wenn wir nicht flexibel und nicht bereit sind unsere Sicht auf die Welt verändern zu wollen. Das wieder fordert loslassen, sich anvertrauen, sich etwas Unbekannten übergeben.

Doch erst noch mal zurück zur Musik. Ein häufig zitiertes Beispiel: wenn ein Pianist sich im Moment des Spielens einer schweren Stelle darüber versucht bewusst zu werden, was seine Finger tun oder evtl. tun sollten, fliegt er raus. Dann klappt das ganze nicht mehr. Das Bewusstsein ist nicht in der Lage komplexe Anforderungen zu verarbeiten und ist dafür auch gar nicht gedacht, das machen andere Instanzen um Welten besser. Das Dilemma ist nur, je mehr wir unser Selbstverständnis über unser Bewusstsein definieren, desto mehr kommt es uns wie ein Kontrollverlust oder eine Fremdbestimmung vor, wenn das Bewusstsein zurücktreten soll.

Wie schwer fällt es uns anderen zu erklären wie wir etwas machen, was jemand anderes nicht kann. Wir können nur punktuelle Hilfestellungen geben, wie man evtl. zu einem inneren Prozess gelangen könnte, der eine komplexe Bewegung koordinieren kann. Die besten Instrumentalisten oder Sänger sind nicht automatisch die besten Lehrer, oft gerade nicht. Diese Tatsache ist im Grunde genommen eine altbekannte Einsicht, weshalb sie sich mehrfach in Mythen, Märchen und anderen Volksweisheiten nidergeschlagen hat. Zwei seien zitiert.

In der Sage von den Heinzelmännchen erledigen diese während der Nacht, als alle schliefen, die Arbeit, Nacht für Nacht. Alles lief reibungslos und erfolgreich, das Schneider-/Schuster-Ehepaar (bei den Kölner Heinzelmännchen die Kölner Bürger) kam zu Wohlstand. Da die Eheleute aber wissen wollten wem sie dies alles zu verdanken haben und sich außerdem erkenntlich zeigen wollten, streuten sie Erbsen, damit sie vom Ausrutschen der Helfer wach würden und diese erblicken könnten. Nachdem das gelang, sind die Helfer verschwunden und kammen nicht wieder.

Die helfenden Prozesse arbeiten nur im Verborgenen und unbehelligt. Die Nacht steht hier für die unbewussten Prozesse, die das kunstvolle Werk perfekt bewältigen, in die sich das Bewusstsein nicht einzumischen hat, weil es dann schiefgeht. In anderen Fassungen des Märchens sieht das Ehepaar noch aus dem Verborgenen zu, was gerade noch klappt. Aber spätestens mit dem Einbringen oder Eingreifen in die Geschehnisse vertreibt man jede Hilfe.

Ein weiterer Punkt ist in Bezug des Bewusstseins zu den Prozessen, die die komplexen Bewegungsmuster regeln, wichtig, das Vertrauen in die unbewussten Vorgänge. In der zweiten Geschichte, dem Orpheus-Mythos von Orpheus und Eurydike in der Unterwelt, der Eurydike zu befreien versucht, kann dieser Hades erweichen ihm die tote Eurydike zurück zu geben, wenn er vertraut, dass sie ihm folgt, auch wenn er sie nicht wahrnimmt. Die regulativen Prozesse begleiten uns, machen perfekt ihre Arbeit, aber im Verborgenen. Orpheus dreht sich um, weil er sich ihrer nicht sicher ist, er kann ihr (Eurydike) / ihnen (den Prozessen) nicht vertrauen um Gewissheit zu bekommen. In dem Moment verschwindet unwiderbringlich Euryridike bzw. der regulative Prozess.

Wir brauchen dringend Vertrauen in die inneren Prozesse. Es gibt Instanzen, die können Bewegungen und Handlungen perfekt regeln. Wir dürfen lernen auf die inneren Zeichen zu hören, die uns dorthin geleiten wollen und könnten mutig sein, dass Gewohnte zu verlassen.

Der Orpheus-Mythos entsteht 1500 v. Chr., in einer Zeit, in der die bikamerale Psyche, mit ihrer Kommunikation zwischen linker und rechter Gehirnhälfte, schon am zusammenbrechen ist. Gisela Rohmert und Martin Landzettel schreiben in ihren "Lichtenberger Dokumententationen" ("Erkenntnisse aus Theorie und Praxis der Physiologie des Singens, Sprechens und Instrumentalspiels" Band 3, 2017): "Der Wille des bikameralen (Zwei-Kammer-) Menschen zeigte sich als Stimmphänomen. Hören und Ge-horchen bedingten sich gegenseitig. Tomatis sagt: 'Das psychologische Problem, das ich am weitesten verbreitet sehe, ist, dass wir nicht nur das Phänomen des Horchens, sondern auch des Gehorchens verloren haben. In den heiligen Schriften ist das Wort, welches man am meisten liest: Höre.' 'Gehorchen ist perfektes Horchen.' (Wilson, 1988)"

In dem Maße, in denen den Menschen die göttlichen Stimmen (Erscheinungen) verloren gehen, entsteht wahrscheinlich eine große Hilflosig- und Orientierungslosigket. Eine große Suche nach der verlorenen Führung beginnt. Es ist die Zeit der großen Völkerwanderungen, die Zeit der großen Monumente für die Götter und Mythen über jene. Diejenigen, die die Verbindung zu den Göttern noch haben, werden zu Pristern, um für die "Anderen" zwischen beiden Welten zu vermitteln. Die Mythen sollen in Erinnerung halten, wie es geht bzw. ging, oder aber berichten von Menschen die dies noch können und somit Lehrmeister wurden. Rohmert und Landzettel schreiben in ihrer zuvor genannten Dokumentation weiter: "Diese vielen Aspekte zeigen Orpheus nicht als ein von einer Fülle von Einzelbegabungen [Sänger, Dichter, Instrumentalist, Arzt usw.] bestehendes Phänomen, sondern als einen Kristallisationspunkt, der in einem unwillkürlichen Reflex alle Facetten einer einzigen Kraft beleuchtet, nämlich der musischen. Das Musische in ihm ist der Träger umfassender Machtfülle. Und darin verehren die Griechen ihn als ihren vorzeitigen geistigen Begründer.
Orpheus konnte diesen umfassend wirkenden Reflex bahnen. So war er auch Begründer einer eigenen Sangesschule. Seine Schüler blieben ungenannt, weil das Erfülltsein mit göttlichem Sein, ein göttlicher Sänger zu sein, das Hervortreten als Individuum überflüssig macht. Orpheus hat vermutlich als erster die zentrale Bedeutung der menschlichen Stimme als eine die Evolution stimulierende Energie erkannt."

Zwei Abbildungen, die den Wandel der Sichtweise auf Orpheus zeigen und damit verdeutlichen, wie sich das Selbstbild des Menschen verändert hat. Abbildungen und beschreibende Tabelle sind ebenfalls aus der Dokumentation von Rohmert und Landzettel entnommen.

Orpheus aus dem Thronsaal von Pylos; ca. 14. Jahrh. v. Chr. Orpheus unter den Thrakern. Ausschnitt aus einem griechischen Mischgefäß; ca. 440 v. Chr.
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Orpheus I, ca. 1500 v. Chr. Orpheus II, ca. 400 v. Chr.
archaische Erscheinung, mythisch, nicht individuell Individuum, durch Lorbeer ausgezeichnet
Das Instrument hat durch den doppelköpfigen, heiligen Schwan sakralen Charakter Die Leyer ist funktional, die Saitenzahl vermehrt
Die Haltung ist aufgerichtet, eutonisch. Die Haltung ist hypotonisch.
Der Kopf ragt in den Himmel. Der Himmel ist fern und enthält Buchstaben.
'ge-horchend' horchend, erforschend
Beide sitzen auf einem Stein, wie die Minnesänger.

Der Mythos Orpheus

Orpheus

Orpheus, beschrieben in der griechischen Mythologie, hat um 1500 v. Chr. in Griechenland gelebt und war ein Meister der Kitharodie. Er war Sänger, Instrumentalist, Dichter, Heiler und einiges mehr in einer Person.
Seine Mutter war die Muse Kalliope, eine der neun Töchter des Zeus. Sie ist die Muse der epischen Dichtung, der Wissenschaft, der Philosophie, des Saitenspiels, sowie des Epos (Erzählungen) und der Elegie (Trauer- oder Klagegedichte). Kalliope ist die älteste und weiseste der neun klassischen Musen.
Orpheus Vater war entweder der thrakische König und Flussgott Oiagros oder Apollon, der Gott des Lichts, des Frühlings, der sittlichen Reinheit und Mäßigung sowie der Weissagung und der Künste, insbesondere der Musik, der Dichtkunst und des Gesangs; außerdem ist er ein Gott der Heilkunst und der Bogenschützen. Von Apollon bekam er seine von Hermes gefertigte Kithara (ein gezupftes Saiteninstrument aus der Gruppe der Leiern) geschenkt.

Orpheus galt als der beste Sänger und berührte alles und jeden mit seinem Gesang, sich selbst begleitend auf der Kithara. Er bezauberte nicht nur Menschen, Tiere (Haustiere und wilde Tiere saßen paradiesisch nebeneinander und lauschten seiner Musik), Pflanzen (die Bäume zogen ihre Wurzeln aus der Erde und folgten dem Klang) und Götter (seine Musik besänftigte Hades, den Herrscher der Unterwelt, so dass er ihm eine Bitter erfüllte, die keinem anderen Menschen zu Teil wurde), er besänftigte auch das wütende Meer, übertönte die Sirenen und brachte Felsen zum Weinen.
Man könnte sagen, er wirkte harmonisierend und erlösend auf die Welt. Außerdem war er in der Lage den merköpfigen Höllenhund Kerberos, der den Eingang zur Unterwelt bewacht, damit kein Lebender eindringt und kein Toter herauskommt, zu besänftigen und Charon, den Fährmann an der Styx, dazu bewegen, ihn mit in die Unterwelt zu nehmen. Damit konnte er zwischen der Ober- und Unterwelt wechseln, was eigentlich keinem Menschen ermöglicht werden sollte.

Er war ein Mittler zwischen der "Tages"- und "Nacht"-Welt, zwischen dem Reich der Schatten und der Götter, dem Unterbewusstsein und Bewusstsein, der rechten und linken Hemisphäre des Gehirns und zwischen der körperlich-materiellen und der energetisch-geistigen Welt.

Sein Mittel zu solchen Grenzüberschreitungen und zur Korrespondenz zwischen diesen getrennten Welten war seine Stimme.
Elisabeth Hämmerling beschreibt ihn in ihrer Abhandlung "Orpheus Wiederkehr" (Interlaken, Ansata, 1984) einen, der eine "Fahrt" macht und mit Hilfe seiner Stimme Geister beschwört. Einen, den die Thraker, dann die Griechen bis zu den ersten Christen als "der Ärzte Bester" beschrieben, als Heiler und Heiland verehrten.


Weitere hochinteressante Einsichten in den Mythos Orpheus bietet Robert Böhme in:

  • "Orpheus. Der Sänger und seine Zeit" (Bern, Francke, 1970)
  • "Unsterbliche Grillen" (Jahrb. d. dtsch. arch. Inst. 69, 1954)

Gegensätze - Dualismus

Unser Gehirn braucht Gegensätze.

Strukturen erkenne wir nur, wenn hell-dunkel, schwarz-weiß, laut-leise usw. vorhanden ist. Eine Kugel sehen wir nicht mehr als Kugel, sondern als Kreis, wenn die Kugel optimal ausgeleuchtet ist. Unser Gehirn braucht Schatten um die Dreidimensionalität einer Kugel zu erkennen. Und am besten auch noch Bewegung in den Lichtquellen. Ein zu gut ausgeleuchteter Arbeitsplatz ist anstrengend für unser Auge und unser Gehirn. Kerzenlicht bietet viel Schatten und bietet außer einer Entspannung für die Augen eine vermehrte Assoziationsfähigkeit, somit vermehrte Inspiration und Kreativität!

Eintönigkeit oder Gleichheit ist der Tot jeder Wahrnehmung. Abwechslung und Vielfältigkeit bedeutet Leben und Lebendigkeit.

Wenn wir zwei Kilometer auf einer gleichförmigen Straße an einer gleichförmigen Mauer entlang laufen, ermüden wir, die Gedanken werden träge unsere Stimmung sinkt. Laufen wir die gleiche Strecke durch den Wald, fühlen wir uns erholt, haben Energie getankt, unsere Gedanken laufen auf Hochtouren, wir sind inspiriert und entwickeln Tatendrang. Diese Tatsache ist mehreren Umständen geschuldet, aber ein wichtiger Aspekt ist die Abwechslung. Das Auge bekommt eine Vielfalt an Abstufungen von verschiedensten Farben und Helligkeitswerten, von schier unendlichen Strukturen geboten und das alles auch noch in ständiger Bewegung und nicht statisch. Laufen wir quer durch den Wald, ab von den Wegen, genügen schon sehr kurze Strecken um uns wach zu machen.

Bewegung bedeutet Leben. Stillstand ist der Tod.

Unser Auge hat ein nicht sehbares Filmmern, das steht nie still. Der Grund ist, damit nie die gleichen Reize permanent auf die gleichen Sinnesrezptoren im Auge treffen. Dann nämlich "erschöpfen" diese und können keine optischen Reize mehr weiterleiten. Lähmt man diese Muskeln für die Flimmerbewegungen und fixiert den Kopf, so verschwinden nach und nach alle optischen Eindrücke die statisch sind. Wir sehen dort nur noch weiß. Alles was sich bewegt können wir aber noch normal sehen. Hühner haben kein Augenflimmern, die müssen deshalb ständig ihren Kopf vor und zurück bewegen um klar sehen zu können und nicht die Sehfähigkeit für statische Dinge zu verlieren. Nur durch Bewegung können wir sehen! Bewegung verspricht auch bessere Anpassungsmöglichkeiten an die Umwelt. Selbst unsere Knochen sind nicht statisch oder totes Material. Der Knochen baut sich in jedem Moment ständig gleichzeitig auf und ab. Dadurch kann er an Stellen die stärker belastet sind stärker werden und an Stellen wo er weniger belastet wird poröser werden, damit wir Gewicht sparen. Das ist ein kontinuierlicher Anpassungsprozess.

Ein gutes Vibrato ist Ausdruck eines optimalen Regulationszustandes der Stimme.

In der Natur kreist alles immer um einen optimalen Wert. Nie wird der optimale Wert einfach nur statisch gehalten. Beim Singen und Sprechen gibt es eine optimale Balance zwischen dem Luftdruck von unten auf die Stimmlippen (subglottischer Druck) der die Stimmlippen zum Schwingen bringen will und dem Druck zwischen den Stimmlippen bei deren Schließung, damit die Stimmlippen überhaupt schwingen können. Wir nennen das mediale Kompression. Balance bedeutet leichtes kreisen um den optimalen Zustand. Eine Balance ist in der Natur nie statisch. Denn diese lässt sich im leichten Kreisen viel leichter im optimalen Bereich halten und vor allem verlässlicher in Bezug auf äußere Störfaktoren aufrecht erhalten. Dieses leichte Kreisen äußert sich beim Singen als Vibrato. Ein Vibrato stellt sich irgendwann im Entwicklungsprozess einer Stimme immer von alleine ein, es ist nicht verhinderbar (außer man unterdrückt es bewusst) und stellt ein "Qualitätszeichen" der Stimme dar. Es sagt mir, dass die Balance, die Abstimmung zwischen Luftdruck und Stimmbandschluss sich in optimalem Zustand befindet. Oder aber sich diesem nähert, denn es gibt auch "ungünstige" Vibratos, die davon zeugen, dass die Druckverhältnisse noch verschoben sind, sich noch nicht ganz in oprimaler Balance befinden. Dieses leichte Kreisen um einen optimalen Zustand scheint ein Erfolgsprozess in der Natur zu sein. Wir finden es immer, wenn es sich um komplexe Zustände handelt, die vielen äußeren Einfüssen unterliegen.

Schattierungen im Klang stellen die komplexeste und weitreichendste Kommunikation dar, die wir auf körperlicher Ebene aufweisen können.

Unser Kehlkopf erzeugt mit den Stimmbändern ein idealerweise starkes und breites hochfrequentes Rauschen. Das ist alles andere als ein "schöner" Ton. Aber es stellt uns eine große Bandbreite an Frequenzen zur Verfügung und eine hohe Energie. Die inneren Räume des Vokaltraktes (Nase, Mundraum, Rachen, der Raum zwischen Kehlkopf und Kehldeckel, der Subglottische Raum), unser Gewebe, die Knochen und Faszien, all das filtert variabel Frequenzen heraus, schwächt bestimmte Freuquenzen oder verstärkt andere. Sie bringen eine Struktur in den Klang. Mit dieser Modulation des Klanges findet der immense Informationsaustausch auf kommunikativ-kognitiver Ebene statt, wie auf emotionaler Ebene und auch auf vegetativer. Struktur im Klang bedeutet die Manifestation von Informationen, bedeutet umfängliche Kommunikation. Die ersten beiden Ebenen der Kommunikation müssen kaum erläutert werden, Sprache als Kommunikationsmittel auf verbaler, verstandesmäßiger und assoziativer Ebene und emotionale Kommunikation als verbaler Ausdruck, aber vor allem auch als Emotionen in der Stimme (besser: im Klang), das Ausdruck im Volksspruch findet "Der Ton macht die Musik". Die dritte Ebene ist wohl weniger bekannt oder besser bewusst. Ich erhalte über den Klang Aussagen über den Zustand des Körpers, über den Zustand des Gewebes, über den Zustand der Muskulatur, über die Proportionen im Körper, wie sich alles aufeinander abstimmt, über die Zustände im Körper, die Homöostase. Hier handelt es sich um Mikroprozesse und die Qualität von Zuständen. Deshalb empfindet z. B. ein Zuhörer auf Grund der Empathiefähigkeit (Spiegelneuronen), was beim Sänger vor sich geht. Er kann den gleichen ermüdenden Druck an den gleichen Stellen des Körpers wahrnehmen, die beim Sänger selbst den Klang prägen und formen, ebenso natürlich auch die gleiche befreiende Wirkung wenn an diesen Orten eine optimale Effizienz zwischen den beteiligten Antagonisten herrscht.

Dualismus

Im Begriff Dualismus steckt das lateinische Wort dualis = „zwei enthaltend“. Zwei Entitäten, Prinzipien, Mächte, Erscheinungen, Seh- und Erkenntnisweisen. Beide Seiten stehen in einem Spannungsverhältnis oder sogar Gegensatz zueinander, können (scheinbar) unvereinbar sein, sich aber auch als Polarität ergänzen. Unser Körper ist stark dualistisch geprägt. Wir haben zwei Augen, die unterschiedlich sehen, zwei Ohren, die unterschiedlich hören (verschiedene Hörqualitäten abdecken), wir haben die linke und rechte Gehrinhemisphäre, die völlig unterschiedlich, scheinbar unvereinbar die Welt abbilden und verstehen. Unsere linke und rechte Gesichtshälfte scheint nur scheinbar symmetrisch. sie drücken völlig unterschiedliche, ja sogar gegensätzliche emotionale Zustände aus. Unser rechtes Bein geht anders als das linke, was man akkustisch hören kann. Unser linker Arm arbeitet anders als der rechte (Links- und Rechtshändigkeit). Am vielleicht prägendsten für unser komplettes Leben sind aber zwei sich dualistisch verhaltende Reflexe, die einzeln betrachtet unvereinbar sind. Der angeborene Greifreflex und der erworbene Loslassreflex. Der

Greifreflex

sichert unser Überleben und ist unser stärkster Schutzmechanismus, den wir haben. Er sichert dem Baby sich im Fell der Mutter festzukrallen, absolut überlebenswichtig auf der Flucht vor Gefahr. Der schutzgebende Reflex Greifen bedeutet aber auch immer Trennung und Isolation. Unser stärkster "Zupacker" ist noch weit vor den Händen der Kiefer. Er zerkleinert die Nahrung, trennt Einheiten in kleine Teile, isoliert sie. Die Verdauung führt dies fort. Auch im Gaumen, in der Zunge, im Bauchraum, selbst in der Wirbelsäule (Kopf einziehen), sowie den Augen und den Ohren wirkt der Greifreflex, das Zupacken. Die Augen können zupacken oder loslassen (Druck und Öffnung), eine weitreichend unterschiedliche Empfindung. Das Sehen kann fokusieren und damit Details vom Gesamten trennen und isolieren, ebenso wie das Hören. Sehr vieles setzt auf dem Greifreflex auf, viele weitere Reflexe bis hin zu Verhaltens- und Sichtweisen. Was macht das mit einer Gesellschaft, in der die Prinzipien des Greifreflexes übermächtig sind: Schutzbedürfnis, Handeln, Zupacken, Erfolg und Leistung, Zeit. Das trennt mich von Anderen, bringt Schutz mit sich, aber auch Isolation und Alleinsein, birngt mich in eine Kommunikationsarmut. Demgegenüber steht der

Loslassreflex.

Abgesehen davon, dass er auch zum Überleben beitragen kann - bei der Jagd fliegt sonst weder der Speer noch der Pfeil - steht er aber für Geschehenlassen, Aufnehmen, Wahrnehmen, sich in einem Zustand befinden (im Gegensatz zum Handeln), im Moment sein, zeitlos. Das Kleinkind, was mit dem Fallenlassen des Löffels genau diesen Loslassreflex einübt, nimmt neugierig die Wirkung war. Es gibt die Kontrolle über den Löffel ab und erfährt gleichzeitig die Folgewirkung,in dem Fall der Schwerkraft, wenn der Löffel auf den Boden fällt. Es gibt sich den Ereignissen hin. Es lässt geschehen ohne Einfluss auf den weiteren Verlauf zu nehmen. Gerade zu erforschen was passiert, wenn ich ein Ereignis aus meinem Machtbereich anderen Mächten oder anderen Instanzen überlasse (beim Löffel der Schwerkraft), macht lebendig bringt mich in Austausch mit der Umwelt. Loslassen bedeutet in Kontakt gehen. Greifen, Zupacken, Handeln bedeutet aus dem Kontakt, in die Trennung gehen. Loslassen öffnet meine Wahrnehmung und damit den Informationsaustausch mit der Umwelt. Es führt Einzelteile zusammen zu einem Gefüge, zu einem Zusammenhang, einem Ganzen mit einer Binnenverflechtung. Alles steht im Zusammenhang, hat eine Verbindung zu Allem und ergibt einen "Sinn". Loslassen ist verbindend und stiftet Sinn. Zeit verliert ihre Bedeutung, wir sind im Moment, nicht im Handeln, nicht im Machen und ohne Macht, wir lassen geschehen. Das bedeutet aber auch gleichzeitig ohne Schutz. Loslassen um zu lernen was passiert macht neugierig und ispiriert. Kunst und Kultur, Lernen wie persönliche Entwicklung beruht letzendlich nur auf dem Loslassreflex. Wie absurd, dass unsere Gesellschaft politisch und sozial geprägt ist vom Machen und von Macht, das Lernen in der Schule auf Leistungsdruck basiert. Unser komplettes Leben, privat, alltäglich, sozial, gesellschaftlich/polistisch setzt auf den Greifreflex. Er ist unser tiefster Reflex, auf den am einfachsten zurückgegriffen werden kann. Bewusst wird das Dilemma oft erst, wenn größere Probleme auftauchen, die bedrohlich werden. Dann erfahren wir vielleicht in einer Psychotherapie oder Selbsterfahrungsgruppe, dass Loslassen wichtig ist und Heilung bringen kann. Wie soll das gehen in einer Gesellschaft, die fast überwiegend auf den Greifreflex setzt? Wir sind gefordet beide Reflexe wieder in ein Gleichgewicht zu bringen. Uns eine Alternative des Handelns zu ermöglichen, auf Gesamtgesellschaftlicher, kultureller und persönlicher Ebene.

Denn letztendlich brauchen wir beide Reflexe. Selbst beim Kampf, bei der Jagt sind wir ohne Loslassreflex erfolglos. Beim Bogenschießen ist gerade der Moment des Loslassens entscheidend, nicht so sehr das Spannen und Zielen. In der Qualität des Loslassen der Finger entscheidet sich, wie der Pfeil fliegt. Alles wesentliche entscheidet sich im Moment, In dem kurzen Wechsel vom Spannen zum Fliegen. Ist der Pfeil losgelassen, haben wir keinen Einfluss mehr auf den Weg den er geht. Ein schönes Beispiel ist das des Sportschießens. Ein Gewehr wird auf die Qualität getestet, in dem es fest eingespannt wird und auf eine gewisse Distanz mehrere Schüsse auf eine Zeilscheibe abgeben werden. Durch das Nachgeben des Materials und den Spielraum von Passungenauigkeiten treffen die Kugeln nie ganz die gleiche Stelle, es gibt einen kleinen Radius an Einschüssen. Gute Schützen können nun aber einen geringeren Radius der Einschüsse erreichen als Das Gewehr eigentlich hergibt. Das ist eigentlich unglaublich, schier unfassbar, wenn man sich klar macht was da passiert. Diese Schützen stellen sich reflektorisch auf die Ungenauigkeit des Materials und Verarbeitung ein und können diese ausgleichen, kompensieren. Sie sorgen dafür, dass das Gewehr besser schießt als das Material und die Verarbeitung eigentlich hergibt. Woher wissen die das? Niemand "weiß" das, weil es keine kognitive Verstandesleistung ist. Dashalb lässt sich diese Kunst nur schwer in Worte fassen. Das ganze passiert reflektorisch, auf Grundlage des Loslassreflexes. In diesem Ereignis, in dem die Kugel losgelassen wird und ihren Lauf antritt, herrscht eine intensive und hochkomplexe Kommunikation mit der Umwelt und dem Zustand des Gewehres. Zeit spielt in der Wahrnehmung keine Rolle, obwohl man sie in diesem Moment eigentlich gerade gar nicht hat. Der Schütze bfindet sich in einem Zustand, nicht im Handeln. Dieser Zustand ist gekennzeichnet durch eine stark erhöhte Sensorik. Die motorische Seite des Handelns (Zielen und Abdrücken) tritt in den Hintergrund und verschwindet aus der Wahrnehmung.

Nichts anderes passiert beim Singen.

Einleitung - Strukturhören

Ein Ton den wir hören ist im Grunde genommen ein KLANG, weil der gehörte Ton sich aus vielen verschiedenen Frequenzen zusammensetzt.

Der tiefste Ton, der Grundton, ist die Freuquenz, die wir in der Regel warnehmen. Sie gibt dem Ton den Namen. Soweit die allgemeine Theorie. Aber die ist schon so weit vereinfacht, dass die Aussage mit der Realität des Hörens nicht mehr übereinstimmt. Beim Klavier wird sich diese Verinfachung hörbar rächen, sollten wir dieses nämlich mit Hilfe eines elektronischen Stimmgerätes stimmen. Es wird in den hohen und tiefen Tönen verstimmt klingen. Aber dazu später mehr, fangen wir von vorne an. Zu dem "allgemein hörbaren" Grundton mischen sich also weitere, höhere Einzeltöne dazu (Obertöne). Die Obertöne stehen idealerweise in klaren ganzzahligen Proportionen zum Grundton. Bei Geräuschen ist die Anordnung der zugegenen Frequenzen eher chaotisch, ohne klare proportionale Struktur.

Ein TON hat also eine klarere Struktur der Obertöne, welche sich an ganzzahligen Proportionen orientieren (1/2, 2/3, 3/4 usw.), ein GERÄUSCH dagegen eine eher "chaotische" Anordnung im Sinne ganzzahliger Proportionen.

Abgesehen von der Tatsache, dass unser Ohr verschiedene Frequenzen unterschiedlich laut hört, sind die Obertöne eines Tones auch objektiv unterschiedlich laut vertreten. Manche sind ausgeprägter, manche weniger präsent, oder fehlen sogar gänzlich, so dass Lücken in der Obertonreihe existieren. Dies gibt ein komplexes Muster eines Tones, den wir als Klangcharakter warnehmen. So unterscheiden wir leicht eine Oboe von einem Klavier, eine Gitarre von einer Geige. Aber auch beim Sprechen hören wir unterschiedliche emotionale Subbotschaften, die unabhängig von der Botschaft der Sprache sein kann. "Der Ton macht die Musik", sagen wir dann, denn die Subbotschaften des Klanges sind näher und direkter mit unserem Empfinden verbunden, als die abstrakte Sprache.

Die menschliche Stimme ist dabei ein äußerst wandelbarer und vielseitiger KLANGMODULATOR.

Und dies ist keine kulturelle Errungenschaft, sondern eine angeborene Fähigkeit. So kann eine Mutter am Klang des Schreiens erkennen, wie ernst die Notlage eines Kindes ist, können wir hören, ob mir jemand zugewand oder distanziert ist, gut gelaunt oder aggressiv usw.

In der Regel sagt man, dass der Grundton des Klanges, also seine tiefste Frequenz, die Tonhöhe des Tons bestimmt, die wir hören. Das stimmt so nicht. Am Grundton orientiert sich ein Stimmgerät, weil es nur die lauteste Frequenz analysieren kann, die der Grundton in der Regel auch ist. Wir Menschen als Struktur-Erkennungs-Wesen, erkennen die Tonhöhe eines Tones an der Struktur der Obertöne. Dabei kann der tatsächliche Grundton sogar fehlen, wir meinen ihn aber trotzdem zu hören. Unser Gehirn erkennt eben die spezifische Struktur, zu der der fehlende Ton eigentlich gehören würde.  Diesen idealen Zustand nennt man auch "harmonische Obertonreihe". Wie der Begriff "ideal" vermuten lässt ist dieser nicht immer in der Realität gänzlich gegeben. Es mischt sich Geräuschhaftes in den Klang, also Frequenzen, die in keinen klaren Proportionen zum Grundton stehen (inharmonische Obertöne). Der Übergang von Geräusch zu Ton ist zudem sehr fließend und manches Mal nicht mehr eindeutig zuordbar. Aber auch andere Phänomene treten auf, mehrere Strukturen, die uns auf mehrere Grundtöne schließen lassen wollen, oder ein Spreizen oder Stauchen von Obertonsturkturen. Alles bedingt durch die Art der Klangerzeugung und Schwingungseigenschaften des Materials, wie z. B. die Steifigkeit einer Klaviersaiten. Bei den hohen Klaviertönen ist durch die Kürze und damit verbundene Steifigkeit der Metallsaite das Obertonspektrum verzerrt. Wir hören daher einen etwas höheren Grundton als das Stimmgerät misst, bei den tiefen Klaviersaiten einen tieferen als angezeigt wird.

Der tatsächliche Grundton ist für unser Ohr also nicht entscheidend. Die Struktur der Obertöne entscheidet, welchen Ton wir hören und wie er für uns klingt.

Unser Bedürfnis der Nachprüfbarkeit führt dazu, dass wir häufig die Wirklichkeit auf Basisinformationen reduzieren wollen, die dann nicht mehr viel mit der Wirklichkeit zu tun haben. Die Wirklichkeit ist sehr komplex. Allzu häufig isolieren wir daher Phänomene um eine verstandesmäßige Aussagekraft zu erlangen, die dann aber nur noch bedingt zutrifft. Das Aus-dem-Zusammenhang-reißen von Einzel-Phänomen dient nur des vermeintlichen Verstehens durch den Verstand. Dabei sind wir hoch-optimierte Struktur- und Verknüpfungs-Erkennungs-Wesen.

Unser EMPFINDEN leistet die Fähigkeit, die Wirklichkeit in ihrer bezaubernden Komplexheit zu verstehen. Die nichtsprachliche Stimme ist unser am höchsten ausgebildetes AUSDRUCKSMITTEL hochkomplexe Zustände aus der Realität mitzuteilen.