Einleitung - Strukturhören

Ein Ton den wir hören ist im Grunde genommen ein KLANG, weil der gehörte Ton sich aus vielen verschiedenen Frequenzen zusammensetzt.

Der tiefste Ton, der Grundton, ist die Freuquenz, die wir in der Regel warnehmen. Sie gibt dem Ton den Namen. Soweit die allgemeine Theorie. Aber die ist schon so weit vereinfacht, dass die Aussage mit der Realität des Hörens nicht mehr übereinstimmt. Beim Klavier wird sich diese Verinfachung hörbar rächen, sollten wir dieses nämlich mit Hilfe eines elektronischen Stimmgerätes stimmen. Es wird in den hohen und tiefen Tönen verstimmt klingen. Aber dazu später mehr, fangen wir von vorne an. Zu dem "allgemein hörbaren" Grundton mischen sich also weitere, höhere Einzeltöne dazu (Obertöne). Die Obertöne stehen idealerweise in klaren ganzzahligen Proportionen zum Grundton. Bei Geräuschen ist die Anordnung der zugegenen Frequenzen eher chaotisch, ohne klare proportionale Struktur.

Ein TON hat also eine klarere Struktur der Obertöne, welche sich an ganzzahligen Proportionen orientieren (1/2, 2/3, 3/4 usw.), ein GERÄUSCH dagegen eine eher "chaotische" Anordnung im Sinne ganzzahliger Proportionen.

Abgesehen von der Tatsache, dass unser Ohr verschiedene Frequenzen unterschiedlich laut hört, sind die Obertöne eines Tones auch objektiv unterschiedlich laut vertreten. Manche sind ausgeprägter, manche weniger präsent, oder fehlen sogar gänzlich, so dass Lücken in der Obertonreihe existieren. Dies gibt ein komplexes Muster eines Tones, den wir als Klangcharakter warnehmen. So unterscheiden wir leicht eine Oboe von einem Klavier, eine Gitarre von einer Geige. Aber auch beim Sprechen hören wir unterschiedliche emotionale Subbotschaften, die unabhängig von der Botschaft der Sprache sein kann. "Der Ton macht die Musik", sagen wir dann, denn die Subbotschaften des Klanges sind näher und direkter mit unserem Empfinden verbunden, als die abstrakte Sprache.

Die menschliche Stimme ist dabei ein äußerst wandelbarer und vielseitiger KLANGMODULATOR.

Und dies ist keine kulturelle Errungenschaft, sondern eine angeborene Fähigkeit. So kann eine Mutter am Klang des Schreiens erkennen, wie ernst die Notlage eines Kindes ist, können wir hören, ob mir jemand zugewand oder distanziert ist, gut gelaunt oder aggressiv usw.

In der Regel sagt man, dass der Grundton des Klanges, also seine tiefste Frequenz, die Tonhöhe des Tons bestimmt, die wir hören. Das stimmt so nicht. Am Grundton orientiert sich ein Stimmgerät, weil es nur die lauteste Frequenz analysieren kann, die der Grundton in der Regel auch ist. Wir Menschen als Struktur-Erkennungs-Wesen, erkennen die Tonhöhe eines Tones an der Struktur der Obertöne. Dabei kann der tatsächliche Grundton sogar fehlen, wir meinen ihn aber trotzdem zu hören. Unser Gehirn erkennt eben die spezifische Struktur, zu der der fehlende Ton eigentlich gehören würde.  Diesen idealen Zustand nennt man auch "harmonische Obertonreihe". Wie der Begriff "ideal" vermuten lässt ist dieser nicht immer in der Realität gänzlich gegeben. Es mischt sich Geräuschhaftes in den Klang, also Frequenzen, die in keinen klaren Proportionen zum Grundton stehen (inharmonische Obertöne). Der Übergang von Geräusch zu Ton ist zudem sehr fließend und manches Mal nicht mehr eindeutig zuordbar. Aber auch andere Phänomene treten auf, mehrere Strukturen, die uns auf mehrere Grundtöne schließen lassen wollen, oder ein Spreizen oder Stauchen von Obertonsturkturen. Alles bedingt durch die Art der Klangerzeugung und Schwingungseigenschaften des Materials, wie z. B. die Steifigkeit einer Klaviersaiten. Bei den hohen Klaviertönen ist durch die Kürze und damit verbundene Steifigkeit der Metallsaite das Obertonspektrum verzerrt. Wir hören daher einen etwas höheren Grundton als das Stimmgerät misst, bei den tiefen Klaviersaiten einen tieferen als angezeigt wird.

Der tatsächliche Grundton ist für unser Ohr also nicht entscheidend. Die Struktur der Obertöne entscheidet, welchen Ton wir hören und wie er für uns klingt.

Unser Bedürfnis der Nachprüfbarkeit führt dazu, dass wir häufig die Wirklichkeit auf Basisinformationen reduzieren wollen, die dann nicht mehr viel mit der Wirklichkeit zu tun haben. Die Wirklichkeit ist sehr komplex. Allzu häufig isolieren wir daher Phänomene um eine verstandesmäßige Aussagekraft zu erlangen, die dann aber nur noch bedingt zutrifft. Das Aus-dem-Zusammenhang-reißen von Einzel-Phänomen dient nur des vermeintlichen Verstehens durch den Verstand. Dabei sind wir hoch-optimierte Struktur- und Verknüpfungs-Erkennungs-Wesen.

Unser EMPFINDEN leistet die Fähigkeit, die Wirklichkeit in ihrer bezaubernden Komplexheit zu verstehen. Die nichtsprachliche Stimme ist unser am höchsten ausgebildetes AUSDRUCKSMITTEL hochkomplexe Zustände aus der Realität mitzuteilen.


Autor: John Weise

Die Stimme im Klang